Donnerstag, 25. Mai 2017

Ryatxil olo'ti hultstxem fte ftxozä si 
(Ryatxi hindert den Clan daran, zu feiern )

Seit langer Zeit planen wir, mit dem ganzen Clan ein Fest zu feiern. Die Vorbereitungen waren nicht immer leicht, zogen sich in die Länge und oftmals mussten wir Dinge verschieben, da andere Dinge geschahen, die uns daran hinderten, unser Vorhaben in die Tat umzusetzen. Ne'wey, Neyri, Korlan und ich haben aber nun beschlossen, dass wir feiern werden - heute Abend!  Dass es allerdings doch wieder ganz anders kommt, als wir es gedacht haben, ahnt an diesem Morgen wahrlich noch niemand.


Neyri weckt mich, als der Tag gerade eben anbricht. Wir gehen zum Clanfeuer, wo Ne'wey und Korlan uns bereits erwarten. Die letzten Vorbereitungen werden wir vier heute abschließen, sodass wir heute, sobald der Abend anbricht, die anderen Rey'engya mit Hilfe der großen Clantrommel, über die wir zwischen dem Lager der Maguyuk und dem unseres Clans Nachrichten austauschen können, zum Lager der Maguyuk zu rufen.

Ich bin froh, dass Korlan uns nicht nur erlaubt hat, dieses besondere Fest im Lager der Maguyuk zu feiern, sondern dass er auch tatkräftig mithilft, als wir Baumstämme zu einem wahrlich sehr großen Festfeuer aufschichten und zusammen stellen. Als alles erledigt ist, stellen Neyri und ich noch die zeremoniell geschmückten Speere auf, die wir vor einiger Zeit mit beinahe mit Hilfe des ganzen Clans gemeinsam hergestellt haben. Rund herum um das große Feuer sollen sie und einige Fackeln einen Kreis bilden, der den Zusammenhalt unserer Völker symbolisiert.

Ne'wey macht sich dann mit Korlan auf den Weg ins Rey'engya Lager, als wir bemerken, dass die Sonnen schon sehr tief stehen. Dann kommt schließlich der große Moment, an dem ich das Feuer mit einer Fackel entzünde. Immer größer werdende Flammen schlagen in den glutroten Abendhimmel. Rauch und Funken steigen auf und nach einer Weile züngeln die Flammen weit über das aufgestapelte Holz hinaus in Richtung der aufgehenden Sterne. Ich bin mir sicher, dass man sie bis weit hinaus ins Land sehen kann und natürlich weiß ich ebenso, dass auch die sawtute (Himmelsmenschen) das Feuer sicherlich bemerken werden, aber genau das sollen sie auch, denn dieses Feuer steht nicht nur als Symbol für ein Fest und eine Zeremonie, sondern auch dafür, dass wir den sawtute (Himmelsmenschen) zeigen und ihnen klar machen wollen, dass dies hier das Lager eines unserer beiden Völker, dass dies unser Land und dass dies unsere Welt ist, auf der sie, die hetuwong (Aliens) hier gemeinsam mit uns leben und dass wir feiern, wenn uns danach zumute ist und nicht, wenn es ihnen gefällt.

Dieses Feuer steht und brennt als Zeichen des Vertrauens zwischen unseren beiden Clans. Es soll und wird viele Tage lang brennen, es soll mit seinem Rauch die Botschaft über das Land tragen, dass die Rey'engya feiern und dass sie leben. Ich fühle Stolz in mir, als ich die Flammen aus einiger Entfernung beobachte, während Neyri die große Clantrommel der Maguyuk schlägt, um die Nachricht zu verbreiten, dass wir nun alle zu uns rufen.

Während wir dann auf Tsaro, Sey, die beiden Kinder und die anderen Rey'engya warten, nutze ich die Zeit, um mein zeremonielles Gewand anzulegen, das ich nur zu solchen Anlässen trage. Dazu hänge ich meinen Zeremoniebogen um, da ich vor dem Clan sprechen und ihnen danken möchte. Ich bemerke Neyris zeremonielle Bemalung, die ich in dieser Form zum ersten Mal an ihr beobachte. Es lässt sie stark erscheinen und zeigt auch ihren Stolz. Keinen Moment zu früh trete ich dann aus der Höhle und kann als erste Sey'syu begrüßen. Ein wenig wundert es mich zwar, dass sie alleine gekommen zu sein scheint, aber vielleicht war sie bereits im Wald unterwegs und hat Neyris Trommelspiel gehört?

Nach und nach treffen die anderen ein, bis auf Tsaro, die beiden Kinder Maytame und Ryatxi und ich bemerke verwundert, dass auch Sey nicht mit dabei ist. Hat man ihm nichts von dem Fest gesagt? War er nicht im Lager, sodass er es gar nicht wissen kann? Oder ist ihm etwas geschehen?  Ich bin erleichtert, als Sey nach einer Weile auftaucht. Beyda berichtet hingegen, dass Tsaro wieder einmal auf der Suche nach Ryatxi ist und dass May die beiden begleitet. Ryatxi?  Suchen?  Schon wieder?  Ist der kleine, vorlaute Syaksuk vielleicht wieder einmal unerlaubt weggelaufen und hat sich im Wald verirrt? Auf all diese Fragen werde ich, ohne es jetzt ahnen zu können, schon sehr bald eine Antwort bekommen...

Gerade will ich meinen Bogen abnehmen und ihn, um die Aufmerksamkeit des Clans auf mich zu lenken und zu zeigen, dass ich jetzt sprechen möchte, über meinen Kopf zu halten, als Tsaro mit May und dem kleinen syaksuktsyìp (Äffchen), das sich Ryatxi nennt, ebenfalls zu uns ins Lager der Maguyuk kommt. Ich sehe sofort, dass Tsaro einen abgekämpften Eindruck macht und May bestätigt mir dies, denn sie kommt verängstigt direkt auf mich zu und erklärt mir, ohne uns zu begrüßen oder mich um Entschuldigung zu bitten, dass es Ryatxi gar nicht gut geht.

Innerlich verärgert über diese Art von Unterbrechung einer zeremoniellen Feier, nehme ich mich des vorlauten und eigensinnigen syaksyuktsyìp (Äffchensan und frage, was er denn angestellt hat. Ich bemerke eine kleine Verletzung, die aber nicht sehr blutet, also auch eher ungefährlich ist. Er macht einen recht schwachen Eindruck und kann sich offenbar kaum auf den Beinen halten. Gerade erst vor ein paar Tagen hatten ich und Neyri auf ihn und auch meine 'ite (Tochter) eingeredet und die beiden bestraft, da sie sich heimlich davon geschlichen und bis in den Feuerberg hinein gegangen waren und beide hatten mir versichert, solch einen Unsinn nicht wieder zu tun.

Nach einer Aussprache baten uns die beiden um Vergebung. Es sind Kinder und sie folgen ihren Instinkten. Doch nützt all dies nichts, wenn sie aus ihren Fehlern nichts lernen und gleich bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit die gleiche unbedachte Dummheit machen, weshalb wir sie erst kurz zuvor bestraft hatten.

Neyri und ich bringen ihn also in Korlans Höhle und legen ihn zunächst einmal hin, damit wir ihn untersuchen können. Mein Verdacht, dass der Junge sich an irgendetwas vergiftet haben könnte, bestätigt sich, da alle Anzeichen dafür sprechen. Er hat kein Fieber, aber sein Körper wird immer müder und schlaffer. Neyri benutzt dann ein Stück der weißen Wurzel und liefert nach wenigen Momenten den Beweis, da sich das Stück Wurzel, auf das sie ein paar Tropfen Blut, das aus der kleinen Wunde an seinem Fuß hinaus rinnt, violett verfärbt. Ein unumstößliches Zeichen, dass Gift in dem Blut enthalten ist.

Innerlich bin ich sehr gekränkt, sauer, ja sogar wütend auf Ryatxi, da er dieses besondere Fest nun so jäh unterbrochen hat, noch ehe es richtig angefangen hat. Wieder einmal hat er dem ganzen Clan geschadet und sich keine Gedanken darüber gemacht, dass er mit seiner Verletzung nicht nur sich schadet, sondern auch Tsaro und May hätte vergiften können. Ich bin froh, dass Tsaro in solchen Situationen klare Gedanken behält und nicht leichtfertig handelt. Sicher hat er darauf geachtet, dass das Blut des Jungen weder ihn, noch May berührt.

Ryatxi allerdings, so viel ist sicher, hat mein Vertrauen und das aller Rey'engya aufs schärfste missbraucht. Er wird es nicht leicht haben, sich meinen Respekt wieder zu verdienen und ich werde dafür sorgen, dass er mit seiner unüberlegten, leichtfertigen und noch dazu vorlauten und manchmal respektlosen Art nicht Maytames Erziehung gefährdet, indem er sie vielleicht später zu solchen gefährlichen Unternehmungen überredet. Auch wenn ich ihm zugestehe, dass er es jetzt, da seine sa'sem (Eltern) verschwunden sind, nicht leicht hat. Umso mehr wundert es mich jedoch, weshalb er unser Vertrauen so sehr missbraucht. Ich werde und darf es nicht durchgehen lassen, dass er immer wieder den ganzen Clan durch seine unüberlegten Handlungen gefährdet!

Neyri bittet mich, über Nacht auf Ryatxi aufpassen zu dürfen, den ich fortan nur noch mit seinem, von mir gewählten, Spitznamen ansprechen werde, um ihm zu zeigen, wie sehr er mich und auch den Clan und unseren Respekt und unser Vertrauen wieder und wieder missachtet. Er soll und wird spüren, dass nicht ein kleines syaksyuktsyìp (Äffchen) den Clan führt, sondern ein Olo'eyktan (Clanführerund eine Tsahìk (spirituelle Clanführerin). Er hat gewählt, mich zum Feind zu haben, also wird er in mir einen solchen bekommen, ganz gleich, ob er nun noch ein Kind ist oder nicht. Er muss lernen, Regeln zu beachten und er muss und wird lernen was es bedeutet, sie zu brechen.

Meine Entscheidung, Tsaro und Ne'wey zu seinen Ersatzeltern zu machen, war richtig, wie ich feststelle, als ich zu Sey und den anderen an das kleine Feuer hinaus gehe, um ihnen von Ryatxis Vergiftung zu berichten. May reagiert wortlos darauf und ich bin mir sicher, dass sie versucht, ihre Emotionen nicht sichtbar werden zu lassen, doch ich kenne meine Tochter. Ich weiß, dass sie Angst hat und sich vielleicht auch verantwortlich fühlt, auch wenn genau dies nicht zutrifft. 

Die Feier jedenfalls ist dahin und nach und nach schlafen der Reihe nach alle ein oder suchen sich im Lager der Maguyuk einen Platz, um sich auszuruhen. May ist so müde, dass ich sie auf meinen Schoß nehme, sie umarme und ihr leise ein Lied vor singe, bis sie dann eingeschlafen ist. Mache ich etwas falsch?  Wieso tut der kleine syaksyuktsyìp (Äffchenmir und dem Clan so etwas an?  Haben wir ihn nicht respektvoll behandelt, als Meyu ihn auf seinem Ikran (Bansheezu uns brachte?

Beyda ist, außer mir, der letzte, der noch wach ist und das, was er nun tut, zeigt mir zutiefst seinen Respekt und auch, dass er gewillt ist, mir noch eine kleine Freude nach all dieser Aufregung zu bereiten. Er steht auf, kommt auf mich zu und nimmt mir May sanft aus den Armen, um sie behutsam neben das Feuer zu legen. Dann bittet er mich: "Ma numeyu (Schülerin), darf ich Dich bitten, mit mir an dem großen Feuer zu tanzen?"  Ich bin verwundert, überrascht, ein wenig verwirrt und auch irgendwie auch etwas überrumpelt, denn damit habe ich nun wirklich nicht gerechnet. Aber ich lehne seinen Wunsch nicht ab und wir beginnen leise, um niemanden aufzuwecken, neben dem Festfeuer zu tanzen.

Das flackernde Feuer und unsere Herzen geben uns den Takt vor, in dem wir uns lautlos bewegen und mir kommt der Gedanke, dass er noch niemals mit mir getanzt hat. Ein kleiner Wunsch erfüllt sich nun und ich genieße es, mich von ihm führen zu lassen, lasse es mir aber nicht nehmen, hin und wieder auch ihn zu führen. Es ist beinahe ein ritueller Tanz, den der mit mir tanzt. Immer wieder berühren sich unsere Körper und wir flüstern uns nach einer Weile Erinnerungen an Geschehnisse zu, die wir gemeinsam erlebten. Vieles davon ist sehr lange her, doch die Erinnerungen sind noch da, als wäre es erst vor wenigen Tagen passiert.

In diesem Moment fühle ich mich nicht als die Tsahìk (spirituelle Clanführerin) der Rey'engya. Die Zeit scheint stillzustehen und ich bin Beydas numeyu (Schülerin) und er ist mein karyu (Lehrer). Wir erleben vergangene Dinge noch einmal, während neben uns das Feuer prasselt und immer wieder, von knallenden Lauten begleitet, Funken in den Nachthimmel aufsteigen. Es sind wirklich schöne Momente, die mich ein wenig die Anspannung und die Gedanken an die Sache mit Ryatxi vergessen lassen.

Als wir den Tanz beenden, bedanke ich mich bei dem 'alten Greis', wie ich ihn manchmal nennen darf und wir setzen uns neben meinem Kind ans Feuer, um dort dann einzuschlafen. Vielleicht wird man uns morgen Fragen stellen, da ich mit dem Rücken an seinen Bauch angelehnt zwischen seinen Beinen sitze, wie es manchmal Paare machen, die sich mögen. Aber ich will, muss und werde mich nicht vor dem Clan rechtfertigen und Beyda muss dies eben so wenig. Wir sind erwachsene Na'vi und keine eveng (Kinder) und ich mag es, wenn er, ein 'eylan (Freund), ein tsmukan (Bruder), ein Teil meines Volkes in meiner Nähe ist.

Mein letzter Gedanke, ehe ich dann einschlafe, gilt jedoch wieder dem kleinen, aufsässigen und vorlauten syaksyuktsyìp (Äffchen) Ryatxi. Wir werden ihn heilen, er wird wieder gesund werden. Nur die Tatsache, dass er ungehorsam und widerspenstig ist gibt niemandem und schon gar nicht mir das Recht, ihn aus diesem Grund nicht zu pflegen. Als Heilerin und auch als Tsahìk (spirituelle Clanführerinsteht es mir nicht zu, über Eywa hinweg zu entscheiden.

Doch ich bin sicher er wird es bereuen und mich dafür vielleicht sogar genau dafür hassen...
Oder er lernt daraus etwas sehr wichtiges...?!


Möge Eywa Ryatxi auf den richtigen Weg zurück führen...


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