Donnerstag, 25. Mai 2017

Tìpängkxo ta sa'nok ne 'ite 
(Ein Gespräch von Mutter zu Tochter)

Lange habe ich darauf gehofft, lange war es nur ein, wie es mir oft erschien, unerfüllbarer Traum, doch nun ist es Wirklichkeit geworden: Ich stehe, da ich bereits sehr früh aufgewacht bin, vor meiner noch schlafenden Tochter. Wieder kommen mir, obwohl ich immer wieder zu mir sage, dass es geschehen musste und dass es notwendig war, die Gedanken und Erinnerungen in den Kopf, dass ich sie so lange fort geschickt habe. Eine Weile lang beobachte ich sie und auch Ryatxi, ihren Spielkameraden. Ich werde alles dafür tun, damit dies nicht noch einmal geschieht. Maytame soll ihren festen Platz bei den Rey'engya bekommen.

Auch der kleine, mitunter recht vorlaute Ryatxi schläft noch. Was mag er wohl gerade träumen?  Ob er von seinen sa'sem (Eltern) träumt?  Er erzählte uns, dass sie seit vielen Tagen nicht von einer Jagd zurück kehrten. Daher beschloss ich, Ne'wey und Tsaro zu bitten, sich um ihn zu kümmern. Er soll spüren, dass wir ihn nicht fort schicken werden und er soll spüren, dass wir ihn genau so behandeln und respektieren, wie May auch.

Als ich gerade nach unten gehen will, erwacht meine 'ite (Tochter) und lächelt mich, wenngleich auch noch etwas verschlafen, an. Nur wenige Momente später erwacht auch Ryatxi und begrüßt mich nun zum ersten mal so, wie ich es von einem Jungen seines Alters erwarte, freundlich.

Gerade will ich den beiden vorschlagen, mit mir zum Clanfeuer zu gehen, als Ryatxi mich um etwas bittet, mit dem er mich etwas überrascht, denn er bittet mich um ein Gespräch. Zunächst frage ich mich, was er wohl von mir will, doch ich kann es mir schon denken. Sicher wird er sich dafür entschuldigen wollen, dass er mit May zum Feuerberg gegangen ist. 

Und richtig!  Er und auch May versichern Neyri und auch mir, dass sie in Zukunft solche Dinge nicht mehr tun werden. Ich erzähle Ryatxi und May von Tsìlpey, Seys Tochter, die nun seit langer Zeit schon bei Eywa ist. Ich erzähle ihnen von meiner Begegnung mit einem Palulukan (Thanator), zeige ihnen meine Narben und versuche den beiden die Gefahren des Waldes aufzuzeigen. Sie sollen wissen, wie gefährlich es dort draußen ist und dass wir Regeln nicht machen, um unseren eveng (Kindern) den Spaß zu verderben, sondern damit wir nicht eines Tages ihre leblosen Hüllen vorfinden, weil sie keine Chance hatten, etwa einem Rudel Nantangs (Natterwölfe) zu entkommen, wie es einst Ari'lana geschehen ist.

Neyri bringt sich mit in das Gespräch ein und ich gewinne den Eindruck, dass die beiden es bereuen, ohne jeden Gedanken an die Gefahren, einfach in den Wald und sogar bis in den Feuerberg hinein gegangen zu sein. Um ihnen mein oder besser unser Vertrauen zu zeigen, erlaube ich ihnen sogar wieder, bis zu den vereinbarten Grenzen zu gehen, auch wenn dies an sich nicht meinem Willen entspricht. Ich möchte jedoch nicht, dass Ryatxi sich wie ein ketuwong (Alien) fühlt, da er im Clan noch völlig fremd ist und außer May bisher niemanden näher kennt. 

Doch ich frage mich auch, weshalb Ryatxi so vorlaut und bisweilen auch respektlos ist, wie wir ihn immer wieder erleben?  Ein Gespräch mit Neyri bringt uns dann die Gewissheit, dass er all dies wohl tut, um seine Hilflosigkeit, seine Einsamkeit und seine Erlebnisse zu überspielen. Er will mutig und tapfer erscheinen, doch es wäre klüger für ihn, sich seinem Schicksal zu ergeben, da niemand ändern kann und will, was geschah. Mit Respekt und dem Willen, sich den Wegen des Clans anzuschließen, würde er sich sehr schnell den Respekt und auch das Vertrauen des ganzen Clans erarbeiten und das wäre etwas, auf das er zu recht stolz sein kann.

Ich hoffe, er wird all dies noch lernen, denn ich möchte Maytame nicht dadurch bestrafen, dass ich den beiden verbiete, miteinander zu spielen und zu lernen. Sollte er sich jedoch nicht in der nächsten Zeit zumindest ein wenig ändern und zeigen, dass er sich Mühe gibt, werde ich mit Sey reden und entsprechend handeln müssen. Ich hoffe jedoch, dass mir ein solches Gespräch erspart bleibt...

Zunächst kommt mir eine Idee. Da Ryatxi offenbar keine sa'sem (Eltern) hat, frage ich Tsaro und Ne'wey, als wir zum Clanfeuer gehen, ob die beiden gewillt sind,  Ryatxi zu leiten und zu führen?  Ein Junge wie er braucht etwas Halt und auch er hat Fragen und Sorgen und muss ich auch einmal einfach nur ausweinen dürfen, wenn er traurig ist. Keine sa'sem (Eltern) zu haben und zugleich in einem fremden Clan inmitten fremder Na'vi zu sein stelle ich mir insbesondere für ein 'eveng (Kind ) sehr schlimm vor. Er muss sich fühlen, wie von Nantangs (Natterwölfen) umgeben und ich möchte nicht, dass er Angst vor den Rey'engya hat, außer es gibt einen Grund dafür.

Tsaro willigt sofort ein, aber meine Freundin, Ne'wey, bittet mich um etwas Bedenkzeit, die ich ihr auch gerne gebe, denn eine solche Entscheidung will gut überlegt sein. So unterhalten wir uns eine ganze Weile, bis sie dann schließlich einwilligt. Auch Korlan bietet sich an, sich um den Jungen zu kümmern, sollten Ne'wey und Tsaro einmal keine Zeit dafür haben. Ich weiß, dass mein Wunsch sehr viel von den beiden verlangt, zumal in letzter Zeit immer wieder Dinge geschehen, die ihre gemeinsame Zeit immer weniger werden lassen. Manchmal spüre ich Ne'weys Traurigkeit deshalb...

Ich hoffe, dass meine Entscheidung nicht falsch ist und bete zu Eywa, dass sie Ryatxi zu einem Teil des Rey'engya Clans werden lässt, sollten seine sa'sem (Eltern) vielleicht doch zu Eywa gegangen sein...

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