Sonntag, 20. August 2017

Srawa ayok - Schmerzhafte Erinnerungen

Ich hockte vor Kxìrya und sie sah mich einen kurzen Augenblick nachdenklich an. Nach einem akzeptierten Nicken und einem knappen: "Tam. (ok)" ihrerseits meinte sie auffordernd: "Folge mir zu unserem Clanfeuer."  Ohne zu wissen warum, steckte ich mein Vertrauen in diese Na'vi. Obwohl es nur diesen kurzen Moment zwischen uns gab und ihre neutrale Haltung eigentlich auf das Gegenteil schließen ließ, sah ich in den Augen der Tsahìk ( Schamanin ) eine tiefgründige Regung, deren Bedeutung mir aber verborgen blieb. 

Einen Wimpernschlag nach ihrer Aufforderung erhob ich mich langsam von dem Fell. Kxìrya drehte sich sogleich dem Lager zu und schritt voran. Mit eher langsamen und kurzen Schritten folgte ich ihr durch das Lager, welches sich in einer kleinen Schlucht befindet. Etwa 2 Schritte hinter Kxìrya schaute ich mich heimlich etwas im Lager um, als wir dieses durchschritten. Mir fiel ein großer Eingang zu einer Höhle, einem Platz mit unterschiedlich großen Trommeln und ein Wasserfall ins Auge, der sich vom Plateau darüber in ein Becken mitten ins Lager ergoss. * Eine wirklich sichere Lage haben diese Na'vi * dachte ich mir. 

Meinen Blick wieder zu Kxìrya wendend erkannte ich den größer gewordenen Abstand zu dieser. Instinktiv wollte ich aufholen, da das Clanfeuer in Sichtweite kam und sich dort mehrere angehörige des Stammes aufhielten. Mit einem großen Schritt wollte ich die Distanz verkleinern. Aber als mein rechter Fuß auf den Erdboden aufsetzte, durchzog ein glühend heißer Schmerz meinen rechten Oberschenkel. Augenblicklich stockte mein Ein- und Ausatmen, wodurch ich nicht einmal mehr in der Lage war aufzustöhnen. Ich spürte nunmehr, da ich meine Augenlider vor Schmerzen zusammenkniff, wie mein Körper seitlich weg knickte und ich ungebremst auf den Lagerboden aufschlug. 






Erst nach einem längeren Aufraunen konnte ich tief durchatmen, aber der Schmerz verhallte nur langsam. Wieder meine Augenlider leicht geöffnet, blickte mich Kxìrya etwas besorgt an und fragte: "Srake ngar ke lu fpom kefyak? ( Geht es dir nicht gut ? ) "  Ich zögerte aber, da ich mir dachte: * Es darf niemand erfahren. *  Aber schlussendlich deutete ich mit einem Finger auf mein rechtes Bein und bezeugte der Schamanin: "kinam oeyä tìsaw si. (Mein Bein schmerzt. ) "  Immer noch konnte ich das Pulsieren in meinen Muskeln spüren. 


Kxìrya half mir dann auf und brachte mich auf ein Fell am Clanfeuer. Die anderen Na'vi musterten mich durchdringend. Ich konnte die Fragen, welche sie sich gedanklich stellten, an ihrem Ausdruck ablesen. Es war ein sehr unangenehmes Gefühl, welches sich in mir breit machte, doch wand ich mich wieder der Tsahìk ( Spirituelle Clanführerin ) zu, als diese mich fragte, ob ich ihr meine Verletzungen zeigen würde. Mit meiner rechten Hand schob ich daraufhin die Federn, die mein Bein verdeckten, zur Seite. 

An der Innenseite meines rechten Oberschenkels waren mehrere Wunden und Narben zu erkennen. Alle Verletzungen sahen wie gerade Linien aus. Auf einer recht frischen Wunde klebte ein längliches Blatt. Ich erklärte Kxìrya, dass ich es anbrachte um die Blutung zu stillen. Diese schüttelte mit dem Kopf und erwiderte mir, dass so keine Wunde gut heilen könne, weil das Blatt sich mit dem Blut verklebt und somit die Wunde wieder aufreißen kann. Sie meinte dann aber mit beruhigenden Ton, dass dies kein Problem sei. Mittels eines mit Wasser getränkten Tuches säuberte sie zuerst meine Verletzungen von allem Schmutz,  ehe sie dann anfing die offenen Wunden zu versorgen. 

Ohne Widerstand zu leisten, ließ ich mich von Kxìrya behandeln. Aber mir fiel an ihrer Haltung auf, dass sie nachdachte. Wenig später, als mein Bein ordentlich verbunden war, kam dann auch die Frage der Tsahìk: "Kempe lolen ngaru? (Was geschah mit dir?)"  Erwidernd meinte ich dazu: "Es ist eine lange und unschöne Geschichte.", aber die Schamanin machte daraufhin einen Schwenk mit ihrem Arm zu den anderen Clanmitgliedern. Erst als Kxìrya diese Geste vollführte, bemerkte ich, wie alle des Stammes mich neugierig anschauten. Tsahìk legte mir dann eine Hand auf die Schulter und sprach: "Txopu rä'ä si. oe ralpiveng. (Hab keine Angst. Ich übersetze.) " 

Sie gab mir damit etwas Kraft und somit sprach ich dann zum Clan. 

Damals war ich noch sehr klein, beinah noch ein Kind. Mitten in der Nacht überrannten die Sawtute ( Himmelsmenschen ) meinen Stamm. Überall schlugen ihre Feuerpfeile (Raketen)  ein und töteten viele Na'vi. Wer sich nicht retten konnte, verbrannte oder wurde von ihnen erschossen. Unter anderem sind auch meine Eltern durch die Metallkugeln ( ewehrprojektile) getötet worden, als sie mich mit einer Gruppe Tsamsiyu (Krieger) und Taronyu (Jäger) versuchten in Sicherheit zu bringen. Aber es war vergebens. Die Ayvrrtep (Dämonen) töteten fast ausnahmslos jeden, der sich ihnen vor die Waffe stellte. 

Die Gruppe, die mich in den nahen Wald brachte, wurde wenig später auch von den Himmelmenschen eingekreist. Nach einem ungleichen Feuergefecht fesselte man mich überraschenderweise. Sie steckten mich dann auf einen ihrer hunsìp (Hubschrauber) und flogen dann zurück in ihr Lager. 

Allein dies veranlasste alle, die mir am Clanfeuer zuhörten, dazu einen finsteren  Blick aufzusetzen. Ich vernahm auch teils leises, aber wütendes Fauchen. Die wahre Abscheu kam dann aber erst, als ich von meiner Gefangenschaft bei den Sawtute (Himmelsmenschen) erzählte. 




Schon sehr früh musste ich feststellen, dass mich die Himmelsmenschen ohne Unterlass im Auge behielten. Sei es die Wache vor der farblosen Wand oder ihre Metallaugen (Kameras) an den kalten gleichfarbig weißen Wänden. Bis auf das Essen, das man mir brachte, das aber nur eine schleimige gelbe Pampe war oder das Lernen der Sprache der Sawtute  bei ihren Forschern ließ man mich in diesen Raum eingesperrt. Ich fühlte mich wie eines dieser nicht lebenden Dinger der Himmelsmenschen, welche nur die eine Sache können und für sonst nichts zu gebrauchen sind. Jeden Tag der selbe durchgeplante Ablauf, wieder und wieder das selbe Essen und ständig nur diese weiße und kalte Wand - Über Jahre hinweg. 



Mit der Zeit kam ich ins Jugendalter. Mein Körper begann sich zu verändern, aber die Nachsichtigkeit der Ayvrrtep ( Dämonen ) nahm nicht mal um einen Krümel weit zu. Eher im Gegenteil. Langsam begann die Situation in der Basis zu kippen. Es gab immer mehr Streitigkeiten zwischen den Sawtute (Himmelsmenschen), was ich schließlich mitbekam,  da sie an mir etwas gefunden haben, mit dem sie ihre Wut, Frustration oder Begierde ausleben konnten. Als die letzten Forscher aus dem Lager der Menschen verschwanden, gab es niemanden mehr, der sich für mich einsetzte.  Und sei es nur für irgendwelche Tests oder Proben, die man an mir vornahm. 



Jeden Augenblick, der während dieser Zeit verging, wünschte ich mir, dass man meinem Leben ein Ende setzt. Doch es geschah ganz anders und ich wusste nicht wie. Eines Tages gelang mir die Flucht. Es war ein Krieger der Menschen, der zu tief ins Glas geschaut hatte und nicht mehr ganz gerade auf den Beinen meine Gefängniszelle betrat. Trotz meiner Schmerzen konnte ich ihm sein Kampfmesser abnehmen und ihn relativ leise töten. Auf dem Weg hinaus waren die meisten Gänge leer. Allgemein war das Lager sehr heruntergekommen und nur noch wenige Wachen standen auf ihren Posten. 



Als man mich dann entdeckte ging alles sehr schnell. Meine Erinnerung setzt erst ab dem Zeitpunkt wieder ein, als ich mich in einen großen Fluss gestürzt hatte, welcher mich von dort weg trieb.



Nach Beendigung meiner Erzählung war es Sey, der Olo'eyktan (Stammesführer), der sich als erster fauchend und brüllend erhob, seinen Dolch in die Luft streckte und die Sawtute (Himmelsmenschen) aufs übelste Verfluchte. Auch alle anderen am Clanfeuer waren komplett außer sich. Als mein Blick sich Kxìrya zuwand, erkannte ich an ihrem Blick, dass sie zumindest Teilweise meine Empfindungen und Schmerzen nachfühlen konnte. Sie fragte mich dann so leise, dass es niemand anderes hören konnte, ob ich hier im Clan bleiben möchte. Schließlich, so meinte sie, wäre es mein gutes Recht als freier Na'vi. Selbst noch etwas mitgenommen von meiner eigenen Erzählung, nickte ich ihr dann zustimmend zu. 



Anschließend erhob sich nun auch Kxìrya und verkündete, das ich nun dem Clan der Rey'engya angeöre und dass man mich vor allen Gefahren beschützen wird. 



Erst ab diesen Punkt, fühlte ich mich wirklich sicher vor diesen Dämonen. 



[ Dies war der 2te Teil von Neyris Vorgeschichte. Weitere Teile folgen ;)  ]

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